image

Metallene Grabkennzeichnung, Bau des Moskwa-Wolga-Kanals, 1930er Jahre.

Die Leichen der Häftlinge wurden zumeist in der Nähe der Baustellen verscharrt. Manchmal wurden die Gräber, wie hier entlang des Moskwa-Wolga-Kanals, mit Pfählen und Tafeln aus Metall oder Holz gekennzeichnet. Die Gesellschaft „Memorial“ erhielt die Grabtafel 1989 von einem Mann, der in der Nähe eines solchen vergessenen Friedhofs lebte.

image

Sterben im Lager

In allen Lagern des Gulag-Systems war der Tod alltäglich.

Häftlinge gingen an Krankheiten, Hunger und Erschöpfung zugrunde. Die Sterberaten schwankten jedoch erheblich. Ihr Höchststand lag in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als jeder fünfte Häftling infolge der besonders schlechten Ernährung umkam. Regionale und klimatische Bedingungen beeinflussten die Todeszahlen stark. So lag die Sterblichkeit in den eisigen Lagern in der Region Kolyma deutlich höher als im kasachischen Karaganda. Angehörige blieben oft ohne Todesnachricht; eine menschenwürdige Bestattung und die namentliche Kennzeichnung der Gräber erfolgten nicht.

Wie sahen Häftlinge das alltäglich gewordene Sterben in den Lagern des Gulag-Systems?

Darstellungen zum Sterben im Lager

Sergei Reichenberg: Sterbender Häftling, 1945. S. Reichenberg (1904–1986), russischer Bühnenbildner, 1934 Verurteilung zu zehn Jahren Zwangsarbeit, Haft in Lagern an der Wolga und in der Region Kolyma, 1945 Entlassung, 1949 Verbannung nach Kasachstan, 1954 Entlassung. | Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
Beniamin Mkrttschjan: Beim Ausheben eines Grabes, 1953. B. Mkrttschjan (Jg. 1922), armenischer Maler und Grafiker, 1950 Verurteilung zu zehn Jahren Zwangsarbeit, Haft im „Besserungsarbeitslager“ Iwdel (Ural), 1955 Entlassung. | Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
Lagerfriedhof bei Abes (Petschora-Eisenbahn), 1950er Jahre. Im Vordergrund ist das Grab des russischen Philosophen, Historikers und Dichters Lew Karsawin (1882–1952) zu sehen. | Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
 

Janusz Bardach berichtet über den Tod in den Lagern der Gulag

Bericht von Janusz Bardach

„Im Winter war der Tod uns allen besonders nahe. Manchmal kam er am Arbeitsplatz, aber aus irgendwelchen Gründen starben mehr Menschen nachts in der Baracke. Wenn morgens entdeckt wurde, daß jemand gestorben war, wurde der Tote sofort von den anderen Gefangenen ausgezogen. Einmal fiel ein Gefangener während des Anwesenheitsappells am Ende des Tages zu Boden und stand nicht mehr auf. Ich dachte, er sei ausgerutscht, und die Last des Holzes, das er trug, drücke ihn zu Boden. Eine Gruppe bildete sich um ihn herum. ‚Ich kriege die Mütze‘, sagte ein Mann. Andere packten die Stiefel des Opfers, seine Fußlappen, seine Jacke und Hosen. Eine Schlägerei brach wegen der Unterwäsche aus. Kaum war der gestürzte Gefangene bis auf die Haut ausgezogen, als er seinen Kopf bewegte, seine Hand hob und schwach, aber deutlich sagte: ‚Es ist so kalt.‘ Aber dann fiel sein Kopf zurück in den Schnee und ein glasiger Ausdruck trat in seine Augen. Die Leichenfledderer wandten sich mit den Sachen, die sie ergattert hatten, ungerührt ab. [...] Die Barackensanitäter, gewöhnlich Invaliden oder ältere Kriminelle, erstatteten Bericht über die Todesfälle und schichteten die nackten Leichen im Wald auf, bis der Boden aufgetaut war und ein Massengrab ausgehoben werden konnte.“

Bericht von Janusz Bardach, 1998.

J. Bardach (1919–2002), 1941 Verurteilung wegen angeblicher Spionage zum Tode, später Umwandlung der Strafe in zehn Jahre Lagerhaft in der Region Kolyma, 1945 vorzeitige Entlassung.

Quelle: Janusz Bardach/Kathleen Gleeson: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Mein Überleben im Gulag. München 2000.