Planvorgaben und Norm
Bürokratisch aufgestellte, wirklichkeitsferne Planziele bestimmten die Zwangsarbeit im Gulag. Die in den Gulag gesetzten wirtschaftlichen Erwartungen erfüllten sich nie – oder nur auf dem Papier.
Die Hauptverwaltung Lager in Moskau gab die Produktionsziele vor. Die Gegebenheiten der Lager fanden kaum Berücksichtigung. Da die Leiter der Lager die Nichterfüllung der Pläne verantworten mussten, trieben sie die Häftlinge rücksichtslos an. Als Anreiz wurde den Gefangenen eine vorzeitige Entlassung in Aussicht gestellt. Die Höhe der Verpflegungsrationen war an die Erfüllung der Planvorgaben gebunden. Ihre Nichterfüllung führte zu lebensbedrohlichen Kürzungen der Ernährung. Ein wichtiges Mittel, dem zu entgehen, war die Vortäuschung von Arbeitsergebnissen.
Wie wurde die Arbeitsnorm eines Lagerhäftlings dokumentiert?
Persönliches Nachweisbüchlein
Persönliches Nachweisbüchlein eines Lagerhäftlings mit Vermerken über die Ableistung der Arbeitsnorm, Igarka, 1951.
In der ersten Spalte wurde der Grad der Planerfüllung eingetragen, in der zweiten die Zahl der geleisteten Arbeitstage. In der dritten Spalte wurden die angerechneten Tage für das Quartal vermerkt, die sich aus der Höhe der Normübererfüllung ergaben. Die angerechneten Tage wurden von der ursprünglichen Haftzeit abgezogen.
Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
Welche Vorstellungen von Planzielen und Arbeitsnormen vermittelte die sowjetische Propaganda?
Ernst Friedrich Wirth berichtet von der Vortäuschung von Arbeitsergebnissen
Interview mit Ernst Friedrich Wirth
„Es wurde gepfuscht bis zum Äußersten, der Brigadier war selbst interessiert daran, dass seine Norm erfüllt wurde. Ich sagte, die Stempel sollten an die 4,5 bis 6 Meter bis zur Permafrostschicht getrieben werden – und 10 Prozent der Löcher wurden von der Kommission abgenommen. Die übrigen wurden natürlich 1,50 oder 2 Meter tief gemacht, dann wurden die Stempel abgeschnitten und das Holz verkauft oder ähnliches gemacht. Ich bin 1998 in Workuta gewesen – von den Häusern, die wir gebaut haben, habe ich keines mehr gesehen.“
Interview mit Ernst Friedrich Wirth, 2005.
E. Wirth (Jg. 1932), 1952 Festnahme durch sowjetische Behörden und Untersuchungshaft in Leipzig und Potsdam, Verurteilung zum Tode, Abtransport nach Moskau, Umwandlung der Strafe in 20 Jahre Zwangsarbeit, u. a. Lager in der Region Workuta, 1956 Entlassung.
Quelle: Sammlung „Memorial“, Deutschland