Das „Solowezker Lager zur besonderen Verwendung“
1923 entstand mit dem Solowezker Lager der Prototyp und die „Schule“ des Gulag. In der Anzahl und der Behandlung der Gefangenen spiegelt sich der Übergang von der Periode der NÖP zum Stalinismus wider.
Die Inselgruppe Solowezk liegt im Weißen Meer. 1923 schickte die GPU (Staatliche Politische Verwaltung, Nachfolgerin der „Tscheka“) die ersten politischen Häftlinge nach Solowezk. Die dortige Klosteranlage wurde zum Lager umfunktioniert. Die Gefangenen mussten Zwangsarbeit leisten – zunächst nur für den Lagerbetrieb selbst. Infolge elender Versorgung, mangelnder Hygiene und extremer klimatischer Bedingungen starben Tausende. Weitere wurden zu Tode gequält oder erschossen. 1930 erhielt Solowezk den Status eines „Besserungsarbeitslagers“, dessen Haftbedingungen denen der späteren „Besserungsarbeitslager“ vorweggenommen waren. Es wurde 1939 im Vorfeld des sowjetisch-finnischen Krieges geschlossen.
Zeitzeugenbericht von Dmitri Lichatschow
„Ich werde versuchen, die Anlage des Lagers zu beschreiben. Im Kreml (so hieß der Teil der Klosteranlage, der von Mauern aus gigantischen, mit Flechten bewachsenen Feldsteinen umgeben war) befanden sich vierzehn Kompanien. Die 15. Kompanie, außerhalb des Klosters, waren Häftlinge, die in verschiedenen ‚Schalmany‘ [Gaunersprache: Spelunke, Räuberhöhle, Räuberbehausung – Anm. d. Übers.] wohnten – bei der Pelzfabrik, der Alabasterfabrik, beim Bad Nr. 2 usw. Zum Lagerfriedhof sagte man – 16. Kompanie. Es wurden Witze gerissen, aber in einigen Kompanien lagen im Winter die Leichen nackt herum, ohne jede Erdbedeckung.“
Bericht von Dmitri Lichatschow, 1997.
D. Lichatschow (1906–1999), Philologe, später Akademiemitglied, 1928 verhaftet und auf die Solowezker Inseln deportiert, 1932 als „Bestarbeiter“ beim Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals vorzeitig entlassen.
Quelle: Dmitri Lichatschow: Hunger und Terror, Ostfildern vor Stuttgart 1997.